Die Stephanuskirche von German Bestelmeyer – ein Bauwerk der dreißiger Jahre

Evangelischer Kirchenbau im München der dreißiger Jahre – dies bedeutetet Einordnung in unsichtbare Grenzen nach zwei Seiten hin: Noch immer war hier die alte Diasporasituation zu spüren, die sich innerhalb des Stadtbildes an den Kirchenbauten noch lange nach dem Ersten Weltkrieg baulich ausdrückte. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, waren die „protestantischen“ Kirchen äußerlich bescheiden gestaltet und nicht sehr vorteilhaft platziert. Andererseits empfahl es sich kaum in einer Zeit, in der sich München „Hauptstadt der Bewegung“ nannte, einen evangelischen Sakralbau üppiger zu präsentieren, als es den inneren und äußeren Verhältnissen der Kirche entsprach. Wann je solches in nachreformatorischer Zeit geschehen war, erkannte man die Hohlheit solcher baulicher Ausdrucksweise bald.

Es stellt sich die Frage nach dem Sinngehalt eines Kirchengebäudes. Sehr früh schon, das erklärt sich leicht aus der Kirchengeschichte, waren die Versammlungshallen der Christen zu tempelartiger Bedeutung aufgewertet worden. Ihre größte Steigerung erfuhr diese Entwicklung im Bau der gotischen Kathedralen. Auch die uns vertrauten Barockkirchen wurden als Wohnsitz Gottes gesehen, der im Tabernakel in Gestalt der konsekrierten Hostie anwesend ist und verehrt wird.

Luther räumte mit diesen Vorstellungen auf, wenngleich er nicht, wie Zwingli und Calvin, die Bilder, Kerzen und sonstige die Sinne ansprechenden Kunstformen verbannen wollte. Er, der die Kirchenmusik als göttliche Gabe gepflegt wissen wollte, hatte zwar kein inneres Verhältnis zur Gestaltung von Kirchenbauten, spürte jedoch den Zusammenhang zwischen Funktion und Würde der gottesdienstlichen Stätte.

Eine evangelische Kirche ist nicht mehr und nicht weniger als der ausgesonderte Platz, an dem sich die christliche Gemeinde unter dem Wort der Verkündigung zusammenfindet, im Gebet Gott dankt und ihm ihre Sorgen vorträgt, das Abendmahl feiert und ihre neuen Glieder in der Taufe aufnimmt. Ein Ort der Versammlung und Sammlung, an dem nichts ablenken, alles aber zur Verbindung zwischen Mensch und Gott beitragen soll. Betrachtet man unter den genannten Aspekten unsere Stephanuskirche, so dürfen wir dankbar für sie sein. Ein Kirchenbau der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts für eine Vorstadtgemeinde in einer traditionsreichen Stadt, einem Ortsteil mit geschichtsträchtigem Namen – die Stephanuskirche besteht hier auf anständigste Weise.

Die Einweihung im Jahr 1938 Der Architekturprofessor der Münchner Technischen Hochschule, German Bestelmeyer, hatte die Aufgabe zu lösen. Dem 1874 in Nürnberg geborenen Architekten war es wiederholt zugefallen, evangelische Kirchen zu errichten, sowohl auf Grund von Entwurfswettbewerben als in freiem Auftrag. Immer gestaltete er seine Werke zugleich aus der städtebaulichen Situation heraus und gemäß ihrer Funktion. Dabei wählte er trotz des Einsatzes moderner Techniken am liebsten traditionelle, ortsgebundenen Formen und einheimische Materialien. Er liebte das „Altdeutsche“, ähnlich wie sein Stuttgarter Professorenkollege Paul Schmitthenner und mehr als Paul Bonatz, der für München so bedeutende Theodor Fischer oder einstmals sein Lehrer Friedrich von Thiersch. Zu welcher Spannweite Bestelmeyer fähig war, zeigen früh sein Münchner Universitätsbau, später das Germanische Museum in Nürnberg, das Bankhochhaus in Leipzig, die bauliche Neugestaltung rund um das Bayerische Nationalmuseum an der Prinzregentenstraße, große Teile des Deutschen Museums, entscheidend aber auch seine zahlreiche Kirchen. Als Beispiele seien die Auferstehungskirche am Gollierplatz und die Diasporakirchen in Ellingen, Aichach, Bad Kohlgrub, Murnau und Prien genannt.

In diese Reihe fügt sich unsere Stephanuskirche nahtlos ein, so dass nicht einmal der Verdacht zieht, man habe hier aus politischen Gründen auf einen hohen Kirchturm verzichten müssen. Abgesehen von den finanziellen Möglichkeiten erscheint die gewählte besondere Bauform bei gleichzeitiger Schlichtheit durchaus als typisch für Bestelmeyers künstlerisches Denken, und sie entsprach zu ihrer Zeit gängigen städtebaulichen Gestltungsprinzipien
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Eine Pfarrkirche mitten in einem baumbestandenen Straßenzug mit unterschiedlicher, aber aufgelockerter Bebauung sollte sich zwar behaupten, einen Akzent setzen, andererseits aber nicht auftrumpfen. Die Traufhöhe der Kirche entspricht mit nur 9,15 m der durchschnittlicher Wohnhäuser in der Nachbarschaft und setzt sich wenig von der des angefügten Pfarr- und Gemeindehauses ab. Alleine das sehr steile Walmdach erreicht eine Höhe von 26,50 m und betont den Charakter einer Kirche. Indem der vorgebaute Turmkörper den Dachfirst nur verlängernd aufnimmt, dafür aber in einem bis zu gut 34 m aufsteigenden Zwiebeltürmchen seine Bekrönung findet, wird die zwiefache Harmonie zwischen Zurückhaltung und besonderer, von Allerweltsbebauung sich abhebender Gestaltung betont. Vergleicht man die einfachen Wohnhäuser daneben mit den Werktagen einer Woche, so verkörpert die Stephanuskirche sozusagen einen Sonntag im Straßen- und Stadtbild.

Dafür sorgt auch die wohlüberlegte Anordnung des östlich an den Gemeindehaustrakt angefügten Pfarrhauses mit Giebel und Erker. In leichter Abknickung wendet es sich ein wenig zur Kirche, wiederholt den Giebel des Turms und begrenzt auf feinste Art den begrünten Kirchenplatz. Selbst der niedrige Anbau der Brautkapelle neben dem Turm trägt zur Harmonie der gesamten Platz- und Gebäudeanlage bei, die wie selbstverständlich gefügt ist und damit einen Anspruch ausdrückt, der weit über die Einfachheit der aufgewendeten Mittel hinausreicht.

Zerstörung nach einem Luftangriff im Juli 1944Wir erleben die Gebäudegruppe als Ziegelbau, gemäß der noch in München, Landshut oder Ingolstadt zu sehenden Tradition, mit Bogenfriesen und Lisenen, aber alleine am dadurch hervorgehobenen Kirchenbau. Mit nur kleinen, an Stelle der Uhrenkammer sogar eingesparten Schallfenstern ist der 9 m breite Turm durchaus massig geformt. So betont er sicher bewusst die Heimatverbundenheit; entfernt und sicher nicht zufällig erinnert er an den Westturm des Reichenauer Inselmünsters.

Was am Außenbau wesentlich ist, wird auch im Material deutlich: Aus Naturstein, Kelheimer Muschelkalk, ist lediglich das Kirchenportal gestaltet. der Bildhauer Hans Vogl schuf dort als Tympanon ein Relief des lehrenden Christus. Aussage hinaus auf die Straße, einladend in den behaglichen Innenraum. Dieser bildet ein dem Quadrat angenähertes Rechteck von 18,72 m Breite und 16,88 m Länge, dem traditionsgemäß ein kleiner eigener Altarraum von 7,20 m Breite angefügt ist. Die eingestellten Wandpfeiler gliedern den Raum und tragen das hohe Dach über der kassetierten Flachdecke. Ein Gehäuse, in dem sich die Gemeinde dicht zusammenschließen kann, dabei Geborgenheit empfinden mag, mit unverstelltem Blick auf Altar, Taufstein und Kanzel. Die dreiseitig umgreifende Empore mit den von Andreas Lang in Oberammergau geschaffenen Brüstungsfeldern betont die Geschlossenheit, zu der ganz entscheidend die Verwendung ungefärbten Fichtenholzes an Bänken, Empore und Decke beiträgt.

Heute wünschten wir uns vielleicht etwas mehr Freiraum, namentlich in der Altarzone, der zur Bauzeit nicht vermisst wurde und natürlich auch die Kosten erhöht hätte. Aber wird die Dichtheit im Raum nicht durch Harmonie aufgewogen?

Abgesetzt vom Weiß der bewusst „lebendig“ geputzten weißen Wände, dem warmen Holzton und dem Ziegelrot der Böden finden wir Farbe und Vergoldung alleine über Altar und Taufstein, zur Betonung ihrer Bedeutung: Die drückt sich auch im hierzu gewählten Material, rötlichem Ruhpoldinger Marmor, aus. Die sparsamen Reliefs, die Malereien und die Plastiken sind voll alten christlichen Symbolgehalts, unterstützt durch die Bibelzitate vertrauten und damals wie jetzt unmissverständlichen Inhalts. Mögen wir heute, 75 Jahre nach ihrer Entstehung, mit den Engelsgestalten über dem Altar auch unsere inneren Schwierigkeiten haben, so sollten wir sie dennoch als Teil dieser Aussage empfinden. Gerade diese Engel beiderseits des Gekreuzigten, dessen Ausführung wiederum Sieg über Tod und irdische Mächte ausdrückt, entstammen ureigensten Gedanken des Kirchenarchitekten.

German Bestelmeyer hat die Stephanuskirche mit großer Anteilnahme gestaltet. Dies merkt nicht nur der Fachmann, wenn er die Fülle der wohlerhaltenen Bau- und Detailpläne in der Architektursammlung der Münchner Technischen Universität durchsieht, auf fast allen Blättern des Architekten Signatur vorfindet, bei wichtigen Zeichnungen Eigenhändigkeit erkennt. Diese Sammlung übermittelt auch genau die Planungs- und Ausführungsdaten, enthält aber keine Vorskizzen, die vom ausgeführten Bau abweichen. Alleine beim kleinen Dachreiter gibt es wenige Variationen. Es scheint, als habe Bestelmeyer in seiner Entwurfsphase sehr bald die endgültige Form gefunden, um danach die vorausgegangenen Gedanken nicht nur ad acta zu legen; er wollte sie wohl auch allen Zeugen entziehen.

Umso eindringlicher ist zu spüren, wie er diese für ihn und uns Nachlebende gültige Form erarbeitete, mit der Bereicherung durch die Bogenfriese außen, mit den genauen Skizzen zum Altar für den Bildhauer v. Rechenberg, mit den Angaben für den Kruzifix in der Gemeindehaus-Diele.

Dies alles geschah zwischen dem Frühjahr 1936 und dem Frühjahr 1938, je nach Wichtigkeit und Arbeitsfortgang. Das Bauschild datiert vom November 1936, der Name der Kirche erscheint auf Plänen erstmals im Juni 1937, der Taufsteindeckel erhielt seine endgültige Festlegung erst im Februar 1938, knapp vor der Kircheneinweihung. Den schönen Entwurf zu einem Abendmahlskelch schuf Bestelmeyer im Dezember 1937, uns als Zeichen für die umfassende Präsenz des Architekten bis in alle Details hinein interessant.

Neue Glocken im Juni 1953Auch der einstige achtseitige Brunnen mit vier Eichhörnchen und mittlerer Zirbelnuss auf einer Säule, allerdings auch mit eingraviertem Hakenkreuz an der Beckenwandung, wurde vom Geheimrat und Professor persönlich gekennzeichnet. Diesen von der Stadt München damals gestifteten Brunnen, dies war vielleicht hier gut so, zerstörte der Krieg, worauf der heutige ebenfalls in städtischem Auftrag entstand, diesmal ohne politische Zeichen.

Wie ernst es bei allem dem Architekten Bestelmeyer, der bekanntlich zu gleicher Zeit große Staatsaufträge ausführte, beim Bau der Stephanuskirche um christliche Ehrlichkeit und Verkündigung war, bezeugt am schönsten die von ihm gestiftete und darum persönlich entworfene kleine Dachreiter-Glocke. Die Zeichnung vom 7. April 1937 vermittelt die von einem Kreuzornament durchdrungene Aufschrift: „Wer da Glaubet und Getauft wird Der wird Selig werden“. Ein Kirchenbau der dreißiger Jahre – auch für zukünftige Generationen, wenn die Glockenaufschrift oberste Aussage an dieser Stätte bleibt.

Ernst Götz


Die nächsten evangelischen Termine in Neuhausen-Nymphenburg

So, 22. Dez, 11.00 Uhr - 12.00 Uhr
Gottesdienst mit Abendmahl - 4. Advent
So, 22. Dez, 19.00 Uhr - 20.00 Uhr
Taizé-Andacht
Di, 24. Dez, 15.00 Uhr - 16.00 Uhr
Familiengottesdienst
Di, 24. Dez, 17.00 Uhr - 18.00 Uhr
Christvesper
Di, 24. Dez, 23.00 Uhr - 00.00 Uhr
Jugend-Christnacht
Mi, 25. Dez, 17.00 Uhr - 18.00 Uhr
Festgottesdienst am 1. Weihnachtstag