Das wichtigste am Haus ist das Dach. Die Mauern allein schützen zwar die Seiten, halten von dort den Wind und die Kälte fern, verhindern den Zutritt unliebsamer Eindringlinge. Vor den Unbilden der Witterung, dem Regen und eisigem Schnee schützt das Dach, erst durch das Dach wird das Haus ein Haus, entsteht ein nutzbarer Innenraum. „Gott sei Dank unter Dach und Fach“, sagt der Bauer, wenn er seine Ernte kurz vor dem Wolkenbruch gerade noch rechtzeitig in den Schober, ins Gefach verstaut hat. Ein Dach über dem oberbayerischen Einseithof schützt Mensch, Tier und „Sach“, also den gesamten Betrieb: vorne die Behausung von Bauern und Gesinde, dahinter den Stall fürs Vieh und die Wagenremise, darüber den Speicherraum für Heu und Stroh.
Zuhause für eine lebendige Gemeinde
So ist das Dach Sinnbild für „Schutz und Schirm“ und Behütetsein. Dies dürfte auch German Bestelmayer im Sinn gehabt haben, als er die Stephanuskirche mit ihrem gewaltigen Dach entworfen hat – dem überaus imposanten roten Ziegeldach, das in seinen riesigen Abmessungen nicht aus der Funktion allein zu erklären ist. Es soll weithin sichtbar signalisieren: Hier ist ein Gotteshaus, hier bist Du beschützt und behütet, hier hat eine lebendige Gemeinde ein Zuhause. Viele Jahrzehnte hat das in dieser Kirche bestens funktioniert, sogar die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs hat das Dach einigermaßen überstanden, und nach notürftigen Reparaturen hatte die Gemeinde wieder ein Dach über dem Kopf. Aber der Zahn der Zeit macht eben auch vor Gotteshäusern nicht Halt und so war das Stephanusdach bereits seit etlichen Jahren ziemlich angeschlagen: der Dachstuhl verschoben, die Ziegeldeckung marode, die Bleche verrottet. So war der Zeitpunkt gekommen, das Dach sorgfältig, aber behutsam zu erneuern.
Schäden repariert, Verlorengegangenes rekonstruiert
Im konstruktiven Zusammenwirken zwischen Bauherrn und Nutzern, Architekten, Statikern und Handwerkern ist dies, wie ich meine, hervorragend gelungen. Der Dachstuhl konnte stabilisiert und geschädigtes Gebälk prothetisch ergänzt werden. Das gefährlich verschobene Mauergesims wurde gesichert und gefestigt, alle Kupferverblechungen fachgerecht erneuert. Das gesamte Dach wurde mit eigens gebrannten Tonziegeln nach historischem Vorbild neu gedeckt, das Glockentürmchen wieder verschiefert, Turmkreuz und Zierden frisch vergoldet oder, wo verschwunden, sogar rekonstruiert. Die knapp ein Jahr währenden Restaurierungsarbeiten waren begleitet von zahlreichen technischen und gestalterischen Herausforderungen, aber gleichzeitig angefüllt mit vielen wunderbaren und interessanten menschlichen Begegnungen und Erfahrungen.
Schutz und Schirm unter dem neuen Dach
So hat nun die Stephanuskirche 75 Jahre nach Ihrer Errichtung ein neues Dach, das nicht nur ihre Gemeinde sicher schützt und behütet, sondern auch wieder ein weithin sichtbares Zeichen darstellt. Möge das neu bedeckte Gotteshaus die nächsten 75 Jahre wieder „Schutz und Schirm“ sein für alle, die hier ein- und ausgehen, die sich ihm in Gottesdiensten oder Familienfeiern, bei großen Konzerten oder intimen Andachten anvertrauen.
Werner Lederer-Piloty
Mehr über die Planung und Renovierung des Kirchendachs, die Geschichte und Architektur der Stephanuskirche können Sie in der Beilage zum Gemeindebrief I/2008 "Unter Dach und Fach" nachlesen.